Martinus Nijhoff

1894-1953                   Niederlande

 

 

 

 

In Übersetzungen von

Ard Posthuma

 

 

 

 

 

Die Vögel

(De Vogels)

 

Schrillt die Dampfpfeife übers Areal,

kommen die Arbeiter zum Hof gelaufen,

essen zu Mittag, spielen Fussball, raufen;

inzwischen sammeln Vögel sich zum Mahl.

Die erste Möwe löst sich aus der Traufe,

die Hand mit Krümeln wirkt wie ein Signal;

die Erde nährt dem Himmel allemal.

Am Schuh bilden die Spatzen heitre Haufen.

 

Vorn auf der Brücke tönt’s weniger froh.

Die Vögel dort speist man nach andren Sitten.

Sie holten sich Brot vom Stempelbüro.

 

Wenn die sich Krümel vom Himmel erbitten,

ein Kino, Fahrrad oder Radio,

kommt Kavalerie auf sie eingeritten.

 

aus: „Die Stunde X. Gedichte“

© Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1989.

 

 

 


Die neuen Sterne

(De nieuwe sterren)

 

Schuldlose Ahnen hatten sich zur Nacht

Held oder Tier zum Sternbild ausersehem.

Uns aber wurde seit dem Mordgeschehen

auf Golgotha ein anderes Licht entfacht.

 

Uns wurde Folterzeug zum Sternenpracht.

Wir sehen die Dornenkrone flimmernd stehen,

sehen Geissel, Nägel ihre Kreise drehen

und Würfelspiel und Speer mit langem Schaft.

 

Verheimlicht zwischen dem Gepränge breitet

dort der Gekreuzigte die Arme aus.

 

Wer auf der finsteren Erdenbühne schreitet

mit Leidensmiene aus Pilatus’ Haus?

 

Petrus, die Magd, Barrabas, der befreite.

 

Kein Hahn kräht. Kein Hund bellt. Sonne bleibt aus.

 

 

aus: „Die Stunde X. Gedichte“

© Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1989.